Unterhavel-Region und Donaumoos-Region: „Gescheiterte“ oder „erfolgreiche“ Urbarmachung von Auen und Mooren? – eine vergleichende Analyse
AUEN UND MOORE ALS „SCHWESTERÖKOSYSTEME“
In Mitteleuropa gibt es große Gebiete mit Auen- und angrenzenden Moorökosystemen, die sich während des Holozäns als Ergebnis teils gekoppelter hydro-sedimentärer Prozesse entwickelten. Diese beiden von der Entstehung herverknüpften Ökosysteme blieben bis zum späten Mittelalter, teils bis zur vorindustriellen Neuzeit, in einem naturnahen Zustand.
MENSCHLICHE EINGRIFFE IN AUEN UND MOOREN
Auf diese Zeit folgten jedoch tiefgreifende Veränderungen. Große Bereiche der Auen und flussnahen Moore wurden durch menschliche Eingriffe wie Abholzung, Landgewinnung und Wasserbau massiv verändert. Interessanterweise begannen die Eingriffe in den Auen zuerst, während umfangreiche Landgewinnungsmaßnahmen in den Mooren im Rahmen zentral geplanter Binnenkolonisation erst im 17. und 18. Jahrhundert meist abrupt einsetzten.
Die Auswirkungen dieser menschlichen Eingriffe waren erheblich. In der Folge wurden die semi-terrestrischenÖkosysteme häufig zerstört, und die ländlichen sozioökonomischen Strukturen erfuhren bedeutende Veränderungen, nicht zuletzt durch gesteuerte Einwanderung. Diese Prozesse könnten zu „großen Übergängen“ der fluvialen sozioökologischen Systeme geführt haben.
Im Rahmen des Schwerpunktprogramms 2361 „Auf dem Weg zur fluvialen Anthroposphäre“ stellt sich die Frage, ob bzw. ab wann bestimmte Auen und angrenzende Moore als „Fluviale Anthroposphäre“ verstanden werden müssen und welche sozioökologischen Prozesse zu ihrer Entwicklung beitrugen. Die rückblickende Untersuchung dieser Prozesse ist wichtig, da sie dazu beiträgt, aktuelle Auswirkungen von Klimawandel und menschlichen Eingriffen auf diese empfindlichen sozioökologischen Systeme besser zu verstehen.
FORSCHUNGSZIELE
Das wesentliche Ziel des interdisziplinären Projekts besteht darin, eine vergleichende Bewertung von Landnutzung, Urbarmachung, Wasserbau und ökologischen Veränderungen in zwei fluvialen sozioökologischen Systemen in Mitteleuropa vorzunehmen: Die Region der Unteren Havel und die Region um das Donaumoos.
Hierbei wird ein multimethodischer Ansatz verwendet, um die menschlichen Eingriffe zu rekonstruieren. Die Befunde aus der historischen Archäologie, den Geowissenschaften und der Pflanzenökologie werden synthetisiert, um Umweltreaktionen, sozioökologische Rückkopplungen und ihre räumlich-zeitliche Variabilität in beiden Untersuchungsregionen besser zu verstehen.
Mit dieser Synthese soll das Verständnis für potentielle „große Übergänge“ von natürlichen Auen und angrenzenden Mooren hin zur „Fluvialen Anthroposphäre“ vertieft werden. Dies ermöglicht auch das Nachvollziehen bestehendersozioökonomischer Pfadabhängigkeiten, die durch Umweltzwänge initiiert wurden. Trotz des zeitlichen Fokus auf dem Mittelalter und der vorindustriellen Neuzeit werden auch frühere Umweltphasen berücksichtigt, um die holozänen Grenzbedingungen zu ermitteln.
METHODISCHER ANSATZ
Um die Wechselwirkungen zwischen Klima, hydro-sedimentärer Dynamik, Vegetation, Gesellschaft und materieller Kultur sowie sozioökologische Übergänge zu erfassen, verfolgt das Projekt einen disziplinübergreifenden (semi-)quantitativen Ansatz. Dieser ermöglicht nicht nur eine umfassende sozio-ökologische Risikobewertung im Hinblick auf den Klimawandel, sondern trägt auch zu den Diskussionen über kulturelles Erbe, Renaturierung und Wiedervernässung bei.
Zielhofer, C.; Schmidt, J.; Reiche, N.; Tautenhahn, M.; Ballasus, H.; Burkart, M.; Linstädter, A.; Dietze, E.; Kaiser, K.; Mehler, N., 2022. The Lower Havel River Region (Brandenburg, Germany): A 230-Year-Long Historical Map Record Indicates a Decrease in Surface Water Areas and Groundwater Levels. Water 14, 480. doi.org/10.3390/w14030480.
Werther, L.; Mehler, N.; Schenk, G.J; Zielhofer, C. 2021. On the Way to the Fluvial Anthroposphere – current limits and perspectives of multidisciplinary research. Water 13, 2188. doi.org/10.3390/w13162188.